Weg mit dem Vorschlaghammer!

Weg mit dem Vorschlaghammer!

Blog | 20.10.2022

Die bundesweite Woche der Seelischen Gesundheit ist am 20. Oktober zu Ende gegangen, Auftakt war der Internationale Tag der Psychischen Gesundheit am 10. Oktober – zack, und schon wieder vorbei, vergessen, wir sehen uns im nächsten Jahr! Eine Auswahl der nächsten Termine: Welttag der Städte (31. Oktober), Internationaler Tag für die Verhütung der Ausbeutung der Umwelt in Kriegen und bewaffneten Konflikten (6. November), Internationaler Tag für Toleranz (16. November), Welttag der Philosophie (17. November).

Moooooment! Ein Welttag – zu was auch immer ist gut – macht doch auch jene Menschen auf Themen aufmerksam, die sie sonst nicht auf dem Schirm haben. Ein Welttag heißt aber nicht, dass wir an einem Tag daran denken und unsere Schuldigkeit getan haben. Wie zum Beispiel an Weihnachten, wenn so mancher Mensch sein Gewissen erleichtert, indem er ein paar Euro an eine Hilfsorganisation spendet, damit er leichten Herzens zig Euro ausgeben kann für unnützes Weihnachtsgeschenkzeugs. Ich schweife ab.

Zurück zum Thema: Freilich kann man nicht von jedem Menschen verlangen, jeden Tag an das Thema Seelische Gesundheit zu denken. Zumal, wenn man nicht selbst davon betroffen ist. Ich möchte das Ende der Woche der Seelischen Gesundheit dennoch zum Anlass nehmen, auf ein, zwei Dinge hinzuweisen, die immer noch klischeebehaftet sind – und justament vor ein paar Tagen in der neuen Folge des Frankfurter „Tatort“ (Titel: „Leben. Tod. Ekstase.“) aufgetaucht sind. Es ging um „Psycholyse“ und es war, vereinfacht gesagt, die Darstellung einer Freak-Show. Menschen mit psychischen Problemen aller Art bei einem Therapeuten, der, gelinde gesagt, mehr Guru war als Therapeut. Okay, auch unter Therapeuten mag es schwarze Schafe geben und ich möchte nicht wissen, wie Psychotherapeuten die Rolle des Hauptdarstellers in diesem „Tatort“ empfinden. Da kann ich nicht mitreden, ich bin lediglich ein Mensch mit Depressions- und jahrelanger Therapieerfahrung.

Ein Klischee, das oftmals (wie jetzt im „Tatort“) bedient wird: Menschen mit psychischen Erkrankungen sind „Psychos“ oder „Freaks“. Da weiß man gleich, was man hat: „Der/Die ist psycho!“. Schöner Satz. Bei dem unterschwellig mitklingt: „Der (oder die) ist fähig, Katzen bei lebendigem Leib den Kopf abzureißen.“ Oder: „Potenzieller Massenmörder.“ Das ist gefährlicher Humbug. Ich erlaube mir, für Menschen zu sprechen, die unter Depression leiden: Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass die Krankheit so dermaßen Kraft und Energie raubt, dass eine Gewalthandlung gegenüber anderen Geschöpfen gar nicht möglich ist. Nicht mal der Gedanke daran. Es kostet allein unglaublich viel Kraft, das Gesicht zu wahren und anderen Menschen Normalität vorzuspielen, will man nicht enttarnt werden als jemand mit Depression.

Psychische Gesundheit bzw. psychische Erkrankungen sind in den vergangenen Jahren dank unermüdlicher Arbeit von vielen meist ehrenamtlichen Organisationen und Betroffenen (darunter auch Prominente) in das Bewusstsein vieler Menschen gerückt – das Stigma für eine seelische Erkrankung wie Depression fällt immer mehr. Gut so! Denn damit haben Betroffene die Chance, sich zu öffnen, sich Mitmenschen und/oder Ärzten anzuvertrauen. Das kann, bildlich gesprochen, der Schlüssel zur Ausgangstür sein. Hinter der sich Hilfe und notwendige Behandlung finden.

Mir ist bewusst, dass in Einzelfällen Hilfe zu spät bzw. nicht erfolgt (warum auch immer) und ich verhehle nicht, dass es mir den Hals zuschnürt, wenn für eine Gewalttat eine „psychische Erkrankung“ als Grund benannt wird. Auch wenn dies medizinisch nachgewiesen tatsächlich der Fall sein sollte.

Worauf ich hinaus will: Künstlerische Freiheit hin oder her, eine völlig überzogene Darstellung von psychischen Erkrankungen oder Therapieformen bringt keinem was. Es bestärkt nur die Meinung jener, die eh schon das Vorurteil „ein Psycho halt“ im Kopf haben. Liest man einen Roman von Stephen King, weiß man, was einem erwartet. Bei einem „Tatort“ wie jenem aus Frankfurt aber wäre eine nachfolgende Sendung/Talkshow mit Diskussion von Therapeuten, Betroffenen, Schauspielern und Produzenten notwendig gewesen. Damit wirklich jeder das Gesehene richtig einordnen kann.

Das muss freilich nicht bei jedem Film, Theaterstück oder dergleichen geschehen, künstlerische Freiheit ist völlig in Ordnung. Selbst ich lache über Depressionswitze. Aber eine Institution wie der „Tatort“ sollte feinfühliger an ein Thema wie psychische Erkrankungen herangehen – und nicht mit dem Vorschlaghammer.

Vorschlaghammer tut immer nur weh und zerstört. Bitte denkt alle daran, nicht nur am Welttag für psychische Gesundheit oder in der jetzt zu Ende gegangenen bundesweiten Woche der Seelischen Gesundheit. Sondern jeden Tag.

Weg mit dem Vorschlaghammer!

 

Armin Rösl
stellv. Vorsitzender und Sprecher
Deutsche DepressionsLiga e.V.