Wenn also eine Klinik zu wenig qualifiziertes Personal hat, muss es dafür Strafzahlungen leisten? Wäre es nicht besser, die Bundesregierung würde Kliniken bei der Personalsuche unterstützen?
Prof. Zwanzger: Natürlich kann man die Politik für den Personalmangel nicht verantwortlich machen. Nach meinem Empfinden tun Bund, Länder und Bezirke ihr Möglichstes, um der Problematik auf allen Ebenen entgegenzuwirken. Wenn aber die Politik akut keine Abhilfe für dieses Problem schaffen kann, sollte sie zumindest dafür sorgen, dass nicht Kliniken und Patienten für den Fachkräftemangel büßen müssen.
Wie würden Strafzahlungen den Klinikbetrieb beeinflussen?
Prof. Zwanzger: Um das zu verstehen, muss man wissen: gemäß der Richtlinie bedeutet Personalmangel schon, wenn nur eine einzige Berufsgruppe nicht vollständig besetzt ist. Wir reden hier nicht von einem eklatanten Arzt- oder Pflegemangel. Vielmehr ist es so, dass die Personalvorgabe schon dann nicht erfüllt sein kann, wenn z.B. ein Ergotherapeut erkrankt ist. Dann gilt die gesamte Behandlung des Patienten als unzulässig. Die Fachgesellschaft DGPPN hat gemeinsam mit anderen Institutionen eine Berechnung erstellt, der zufolge die große Mehrheit der psychiatrischen Kliniken in Deutschland mit der Scharfschaltung der Personalrichtlinie zum 1. Januar 2024 ins Defizit rutschen würde.
Aufgrund der geplanten Strafzahlungen befürchten Ärzte, dass es zu einem Verlust von Behandlungsmöglichkeiten in Kliniken kommen könnte. Welche Auswirkungen könnten die Sanktionen auf die Behandlung von psychisch kranken Menschen haben?
Prof. Zwanzger: Diese Befürchtung gibt es tatsächlich. Zwar bemühen sich Kliniken, Träger und Verantwortliche bereits seit langem, dieser Gefahr entgegenzuwirken. Dazu gehören neben intensiven Bemühungen zur Personalgewinnung insbesondere auch die Schaffung komplementärer teilstationärer und ambulanter Behandlungsangebote – wenngleich dies natürlich keinen vollständigen Ersatz für stationäre Behandlungsplätze bedeutet. Für eine breite Anwendung dieser Ansätze brauchen die Kliniken aber auch andere regulatorische Rahmenbedingungen. Und inwieweit diese Maßnahmen ausreichend sind, muss sich zeigen.