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Nicht falsch, sondern eine Variante von richtig

Kerstin Raphahn, exam. Altenpflegerin, Sprecherin für Hörspiele und Games, Gebrauchshundeausbilderin (PTBS), Hunde-Verhaltenstherapeutin, Entschleunigungs-Coach

Kerstin Raphahn ist inzwischen dankbar, dass die Depressionserfahrung zu ihrem Leben gehört.

Nach langer Auszeit bin ich derzeit dabei, meine Berufe zu verbinden und werde dieses Jahr noch meine Räumlichkeiten eröffnen. Ich leide seit meiner Kindheit an Depressionen und Schmerzschüben, auch galt ich schon immer als überaus hochsensibel, was ich früher als etwas Schlimmes ansah. Verharmlosungen, Abwinken etc. waren keine seltenen Erfahrungen.

In meiner Schulzeit kam es zum ersten großen Knall mit drei Mädchen, die ich wirklich sehr gerne hatte. aber ich merkte nicht, dass sie mit meiner „seltsamen“ Art wohl nicht zurechtkamen. Dass ich in Stresssituationen vergesslich wurde und schnell weinte, sorgte dafür, dass sie wütend wurden und dann sogar eine Kassette für mich aufnahmen. Diese Worte meiner Freundinnen verletzten mich ungemein – da hatte ich meinen ersten Suizidversuch.

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Menschlich bin ich noch genauso wie all die Jahre vor dem Outing auch, als es nicht alle wussten. Nur nehme ich jetzt einfach an, wer ich bin und wie ich bin. Und ich bin nicht falsch, sondern bloß eine Variante von richtig.

In diesen vielen Jahren gab es einige Tiefs durch Gewalterfahrungen, viele Unterleibsoperationen und mehr, dennoch wollte ich immer das Gute sehen und hatte ein enormes Helfersyndrom. Hilfsbedürftigen Menschen und Tieren, vor allem Hunden, widmete ich mein Leben. Aber an sich war ich in meinem Schneckenhaus.

Ich machte mein Examen in der Altenpflege, hörte aber in dem Beruf auf, weil man den Senioren nicht so helfen und ihnen Zeit entgegen bringen durfte, wie ich hoffte. Dann ging ich in die Intensivpflege von Wachkomapatienten, danach kurze Zeit in die Psychiatrie und wechselte noch in der Probezeit zum ambulanten Dienst. Aber es war nicht gut für mich. Das Arbeiten mit und für diese Patienten schon, allerdings das Drumherum einfach nicht.

Dann fand ich meine Erfüllung in der Arbeit mit Hunden und spezialisierte mich auf traumatisierte und stigmatisierte Hunde wie Herdenschutzhunde und sogenannte Kampfhunde – die nur gegen dieses Stigma kämpfen, wie wir Menschen mit seelischen/psychischen Erkrankungen es auch täglich tun. Leider kam dann mein Körper wieder dazwischen. Ein Bruch nach dem anderen (Osteoporose) und ein Infarkt. Ich konnte meinen geliebten Beruf nicht mehr ausüben, mein lieber „Odin“ – mein Seelenhund – wurde so plötzlich aus dem Leben gerissen und ich fiel in ein ganz tiefes Loch.

Nach scheinbarer Genesung machte ich mein bisheriges Hobby zum Beruf: Aus- und Weiterbildung zur Sprecherin in Berlin. Es ist wundervoll und ich kann auf Knopfdruck vor dem Mikrofon „funktionieren“. Aber das ganze Gefühlschaos in mir stresste mich so sehr, dass ich mehrere Hörstürze hatte und aus meiner künstlichen Menopause geholt werden musste (gesundheitlich eine große Baustelle).

Innerhalb von zwei Jahren spitzte sich meine depressive Episode gefährlich zu und ich ging nach einem Zwischenfall zu meiner Ärztin.

Nach all den Jahren festgefahrener Meinung, das alles alleine schaffen zu können (man hat es ja schließlich „gelernt“), sich keine Blöße geben zu wollen und vor allem: keine Antidepressiva andrehen zu lassen – stand ich nun da und erzählte meinem Mann und der Familie, was „los“ ist, was ich habe. Und ich nahm Antidepressiva.

Die ersten Tage war ich regelrecht „abgeschossen“. Meine letztendliche Dosis betrug über 300 mg, sodass ich Halluzinationen und sehr hohen Blutdruck bekam, also ab in die Klinik.

Klinik/Tagesklinik: Ich kann gar nicht beschreiben, wie es sich anfühlte, auf der anderen Seite zu stehen. Vor allem, wenn ehemalige Kollegen vor Ort sind und diese in den Sitzungen erfahren, was mir so widerfahren ist.

Aber ich erfuhr dadurch auch, dass darunter Kollegen waren, die selbst Depressionen haben. Diese Kollegen zeigten mir, dass es jeden treffen kann und dass es nicht verwerflich ist!

Am 15. Dezember 2016 outete ich mich dann öffentlich und ließ meine Maske fallen. Das Gesicht wahren, weil viele so schlecht über mich denken könnten – das war so unglaublich anstrengend und echt kräftezehrend. Dabei sage ich jetzt: „Hätte ich es doch früher getan!“ So viele liebe Kollegen, echte Freunde und vor allem mein wundervoller Mann und unser Sohn – sie alle nehmen mich so, wie ich bin, unterstützen mich, stehen zu mir, halten mich, wenn es nötig wird, und ganz wichtig: Sie verstehen!

Menschlich bin ich noch genauso wie all die Jahre vor dem Outing auch, als es nicht alle wussten. Nur nehme ich jetzt einfach an, wer ich bin und wie ich bin. Und ich bin nicht falsch, sondern bloß eine Variante von richtig.

Mein „schwarzer Hund“ und ich kommen inzwischen gut miteinander klar, und so blöd es vielleicht klingen mag: Ich bin dankbar, dass er zu meinem Leben gehört. Er hat meinen Mann – meinen besten Freund – und mich noch sehr viel enger zusammengeschweißt und mir wundervolle echte Freunde geschenkt! Schämt Euch nicht dafür, wenn Ihr auch einen „schwarzen Hund“ habt. Die „richtigen Menschen“ verurteilen Euch nicht!

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